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Die erste Frage, die du dir jetzt vielleicht stellst, lautet: Warum sollte ich mich überhaupt mit Anspruchskonkurrenzen im Zivilrecht befassen?
Dafür gibt es mehrere triftige Gründe – und ich werde dir heute nicht nur einige davon vorstellen, sondern dir vor allem auch zeigen, was du wissen musst, um die Anspruchskonkurrenzen sicher zu beherrschen.
Ein ganz wesentlicher Grund: Im Gesetz finden sich nur vereinzelt ausdrückliche Regelungen zu den Anspruchskonkurrenzen. Grundkenntnisse auf diesem Gebiet helfen dir, ein solides Systemverständnis aufzubauen – und genau das brauchst du spätestens in der Examensvorbereitung.
Denn: Examensklausuren denken nicht mehr in einzelnen Fächern, sondern kombinieren häufig mehrere Regelungskreise (etwa BGB AT, Sachen- und Familienrecht) oder gar Rechtsgebiete miteinander (Stichwort Einheit der Rechtsordnung). Wer also bei vielschichtigen Sachverhalten die Konkurrenz von Ansprüchen nicht durchschaut, verliert schnell den Überblick. Ein klares Verständnis verschafft dir daher einen echten Wettbewerbsvorteil, weil die meisten Kandidat*innen hier nachlässig agieren.
Von einer Anspruchskonkurrenz sprechen wir immer dann, wenn mehrere Ansprüche desselben Gläubigers nebeneinander in Betracht kommen.
Stell dir zum Einstieg einen ganz einfachen Fall vor:
B entwendet das Fahrrad des A. A verlangt sein Fahrrad zurück.
In diesem Szenario kommen mehrere Ansprüche parallel in Betracht:
Die spannende Frage lautet nun: Schließen sich diese Ansprüche gegenseitig aus? Fragen wie diese wollen wir uns im weiteren Verlauf gezielt stellen.
Der Regelfall im Zivilrecht lautet: kumulative Anspruchskonkurrenz. Das bedeutet: Alle in Betracht kommenden Ansprüche sind nebeneinander anwendbar.
Natürlich kann A nicht mehrmals dasselbe Fahrrad herausverlangen; es findet also eine Vorteilsanrechnung statt. Aber: Sobald unterschiedliche Interessen verfolgt werden, etwa Herausgabe und Schadensersatz, wird das eine Recht durch die Ausübung des anderen nicht gleich ausgeschlossen (Beispiel: § 325 BGB).
Merke dir also:
Die kumulative Anspruchskonkurrenz ist der Grundsatz, von dem du immer zunächst ausgehst.
Die erste große Ausnahme bildet eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die den Vorrang eines bestimmten Anspruchs statuiert. Prominentes Beispiel: § 993 Abs. 1 BGB a. E., der jedenfalls zugunsten des redlichen Besitzers eine (Anspruchs-) Sperrwirkung entfaltet. Sind die Voraussetzungen der §§ 987–992 BGB nicht erfüllt, kann der Gläubiger vor allem bestimmte deliktische Ansprüche nicht neben den §§ 989, 990 Abs. 1 BGB geltend machen.
Hier kannst du dir ein kurzes Video zum Thema anschauen – oder dir direkt die passende schriftliche Zusammenfassung ziehen.
Noch interessanter (und häufiger) ist die zweite Ausnahme: Wertungswidersprüche. Davon spricht man, wenn zwei dem Grunde nach nebeneinander anwendbare Anspruchsgrundlagen unterschiedliche gesetzliche Wertungen transportieren – und diese nicht miteinander in Einklang zu bringen sind.
Ein Fall zur Veranschaulichung:
K kauft von V ein mangelhaftes Auto. Ohne Fristsetzung lässt K den Mangel von X für 1.000 € beseitigen und konfrontiert nun V mit ebendiesem Betrag. V weigert sich, zu zahlen.
Mögliche Anspruchsgrundlagen:
Aber: Die Wertung Vorrang der Nacherfüllung aus § 281 BGB darf nicht durch einen Rückgriff auf das Bereicherungsrecht umgangen werden. Insbesondere die Fristsetzung dient dem Schutz des Schuldners und soll ihm eine sog. zweite Andienung ermöglichen. Deshalb ist der Bereicherungsanspruch in diesem Fall gesperrt.
Ein weiteres Beispiel:
E vermietet A ein Bürohaus. Im Herbst stellt sich heraus, dass die Fenster undicht sind. A lässt die Fenster reparieren und verlangt von E Erstattung der dafür erforderlichen 6.000 €.
Mögliche Anspruchsgrundlagen:
Auch hier gilt: § 536a Abs. 2 enthält eine klare Wertung – nämlich in erster Linie die Pflicht zur vorherigen Mängelanzeige. Diese darf nicht durch einen Rückgriff auf die Geschäftsführung ohne Auftrag unterlaufen werden. Nur wenn es sich um eine Notmaßnahme handelt (etwa Wasserrohrbruch), ist eine Anzeige entbehrlich.
Außerdem ergibt sich die Vorrangstellung des § 536a Abs. 2 BGB gegenüber § 539 Abs. 1 BGB aus einer systematischen Auslegung: Jede Anspruchsgrundlage muss einen eigenständigen Anwendungsbereich haben. § 539 Abs. 1 BGB ist laut seiner amtlichen Überschrift für sonstige Aufwendungen gedacht – etwa Schönheitsreparaturen – und gerade nicht für mangelbedingte Maßnahmen. Andernfalls wäre § 536a Abs. 2 BGB überflüssig.
Auch Verjährungsvorschriften können Wertungswidersprüche auslösen. Im kaufrechtlichen Mängelgewährleistungsrecht beträgt die Verjährung zwei Jahre, während das Bereicherungsrecht grundsätzlich der dreijährigen Regelverjährung unterliegt. Ein Rückgriff auf § 812 BGB würde dann die kurze Verjährung unterlaufen – was wiederum gesetzeswidrig wäre.
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Es gibt insgesamt fünf Anforderungen, die die Gesamtheit an Rechtsnormen des deutschen Rechts – also alle Gesetze – erfüllen muss, und die wollen wir uns in diesem Video jeweils mit Beispielen anschauen.
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